Jacques Derrida - Le dialogue ininterrompu, Filozofia, Jacques Derrida
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Jacques Derrida
Am 9. O ktober ist Jacques Derrida ( 1930)
in Paris gestorben. Zu seinem Tod einige
Fragm ente aus seiner Abschiedsrede zur
akadem ischen G edenkfeier zu Ehren von
Hans-G eorg G adam er (1900-2002), Le
dialogue ininterrom pu: entre deux infinis,
le pom e.
aus:
Jacques Derrida und Hans-G eorg G adam er,
Der ununterbrochene Dialog, Frankfurt am
M ain 2004.
KH
Denn der Tod ist, jedesm al, und jedesm al einzigartig, jedesm al
unw iederbringlich, jedesm al unendlich, nichts w eniger als ein Ende der
W elt. Nicht nur ein Ende unter anderen, das Ende einer Person oder
einer Sache in der W elt, das Ende eines Lebens oder eines Lebew esens.
Der Tod bereitet nicht nur jem andem in der W elt ein Ende, auch nicht
nur einer W elt unter anderen; vielm ehr zeigt er jedesm al, der
Rechenkunst zum Trotz, das absolute Ende jener einen und selben W elt,
desjenigen, w as ein jeder w ie eine einzige und selbe W elt erffnet; er
zeigt das Ende der einzigartigen W elt, das Ende der G esam theit dessen,
w as der Ursprung der W elt fr ein solches einzigartiges Lebew esen ist
(sei es nun ein M ensch oder nicht) oder als solcher erscheinen kann.
Der berlebende bleibt also allein. Jenseits der W elt des anderen ist
er auch auf gew isse W eise jenseits oder diesseits der W elt selbst. In der
W elt au¦erhalb der W elt und der W elt beraubt. Er fhlt sich zum indest
allein verantw ortlich, dazu bestim m t, sow ohl den anderen als auch
dessen W elt w eiterzutragen, den verschw undenen anderen und die
verschw undene W elt, verantw ortlich und w eltlos, w eltbodenlos, knftig
in einer w eltlosen W elt, als w re er erdenlos jenseits des W eltendes.
Eine erste M glichkeit w re es, w ahrscheinlich nicht die einzige, den
Klang eines Celanverses auf uns w irken zu lassen, diesseits oder jenseits
berprfbarer Deutungen: Die W elt ist fort, ich m u¦ dich tragen. Es ist
der letzte Vers eines G edichts aus der Sam m lung Atem w ende,
1
festgehalten w ie eine Sentenz, gleich einem Seufzer oder einem
Urteilsspruch. Celan hatte m ir kurz vor seinem Tode ein Exem plar dieses
Bandes geschenkt, w ir w aren fr einige Jahre Kollegen an der Ecole
1
G esam m elte W erke, Band II (G edichte 2), Frankfurt am M ain 2000, S. 97.
Norm ale Suprieure. Auch dies ein Bruch, auch dies eine
Unterbrechung.
W enn ich hier seine Stim m e zu G ehr bringe, w enn ich sie jetzt in
m ir hre, so zunchst deshalb, w eil ich G adam ers Bew underung fr
diesen anderen Freund teile, der Paul Celan uns w ar. W ie G adam er habe
auch ich oft versucht, Paul Celan zu lesen, nachts, und m it ihm zu
denken. M it ihm , ihm entgegen. W enn es m ir jetzt noch einm al darum
geht, m ich dem G edicht zu nhern, geschieht dies im Versuch, m ich an
G adam er zu w enden, an ihn selbst, in m ir, au¦er m ir, oder dies
zum indest zu sim ulieren, um m it ihm zu sprechen. M it m einer Lektre
w rde ich ihm heute gerne eine Ehre erw eisen. Doch w ird sie auch eine
besorgte Deutung sein, zitternd und durchzittert, vielleicht sogar etw as
ganz anderes als eine Deutung. Zum indest verfolgt sie einen W eg, der
den seinen kreuzen knnte.
G RO SSE, G LHENDE W LBUNG
m it dem sich
hinaus- und hinw eg-
w hlenden Schw arzgestirn-Schw arm :
der verkieselten Stirn eines W idders
brenn ich dies Bild ein, zw ischen
die Hrner, darin,
im G esang der W indungen, das
M ark der geronnenen
Herzm eere schw illt.
W o-
gegen
rennt er nicht an?
Die W elt ist fort, ich m u¦ dich tragen.
W ir w erden dieses G edicht erneut lesen. W ir w erden versuchen, ihm
zuzuhren und auf verantw ortliche W eise auf das zu antw orten, w as
G adam er oft den Anspruch des W erkes nennt, den Anspruch, den es an
uns richtet, die andauernde Aufforderung des G edichts an uns, ihm Rede
und Antw ort zu stehen, die hartnckige, aber im m er berechtigte
Erinnerung an sein Anrecht, seine Rechte geltend zu m achen.
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Vom Herzen seiner Einsam keit aus verm ag das G edicht selbst - und
ber sich selbst - stets durch seine unm ittelbare Unlesbarkeit hindurch
zu sprechen. Und zw ar hier auf durchsichtige, dort auf eine m it
esoterischen Tropen durchsetzte W eise, die eine Einw eihung und eine
Technik des Lesens erfordern. Diese Selbstreferentialitt bleibt stets ein
Anspruch an den anderen, und sei es an den unzugnglichen anderen in
uns. Sie hebt den Bezug auf das Nicht-Aneigenbare keinesw egs auf.
Selbst dort, w o das G edicht von der Unlesbarkeit, seiner eigenen
Unlesbarkeit spricht, behauptet es gleichzeitig die Unlesbarkeit der
W elt. Ein anderes G edicht Celans beginnt so: UNLESBARKEIT dieser/
W elt. Alles doppelt.
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[È ]
W as Sie hier zu hren bekom m en, sind bestenfalls Hilferufe, bei aller
Verw egenheit des folgenden Abenteuers. Ich bin m ir hier ber gar nichts
sicher, und w enn ich m ir auch sicher bin, da¦ berhaupt niem and hier
das Recht hat, sich irgendeiner Sache sicher zu sein, w erde ich dies
nicht ausnutzen. Zu glauben, es gebe eine verl¦liche Lesart, w re
bereits die erste Dum m heit oder der schlim m ste Verrat. Das G edicht
bleibt fr m ich der O rt einer einzigartigen Erfahrung. Das Berechenbare
und das Unberechenbare verbnden sich dabei nicht nur in der Sprache
eines anderen, sondern in der Frem dsprache eines anderen, der m ir die
Zukunft ebenso w ie die Vergangenheit zum G egenzeichnen gibt (w as fr
ein zw eifelhaftes G eschenk): Das Unlesbare steht dem Lesbaren nicht
m ehr entgegen. Indem es unlesbar bleibt, scheidet es unendliche
Lektrem glichkeiten aus und verheim licht sie, im selben Corpus.
Als ich auf das G edicht gesto¦en bin, habe ich m ich in m einer
Faszination, das gestehe ich als m glichen Fehler ein, sogleich auf den
letzten Vers gestrzt. G ierig habe ich m ir dam als eine Vielzahl von
Bedeutungen zu eigen gem acht, m it Hilfe w elcher Hypothesen, sage ich
Ihnen spter noch, als w aren es Auffhrungen, Inszenierungen, m gliche
W elten, als w ren es Anschreiben, bei denen m it ich und du alle
m glichen M enschen und alle m glichen Dinge belegt w erden konnten,
angefangen beim Dichter, dem G edicht oder ihrem Adressaten, in der
Literaturgeschichte oder im Leben, zw ischen der W elt des G edichts und
der W elt des Lebens, sogar noch ber jene W elt hinaus, die fort ist. Ich
versuchte also zunchst, den letzten Vers ins Franzsische zu
bersetzen. Sein gram m atisches Prasens enthlt m ehr als nur eine Zeit:
Die W elt ist fort: Die W elt ist schon fort, die W elt hat uns verlassen, die
W elt ist nicht m ehr, die W elt ist fern, die W elt ist verloren, die W elt ist
aus den Augen, die W elt ist au¦er Sichtw eite, die W elt ist fortgegangen,
der W elt Adieu, die W elt ist verstorben etc. Aber w elche W elt, w as ist
UNLESBARKEIT dieser
W elt. Alles doppelt
Die starken Uhren
G eben der Spaltstunde recht,
heiser.
Du, in dein Tiefstes geklem m t,
entsteigst dir
fr im m er.
aus: Schneepart (1971), in: G esam m elte W erke, Band II. (G edichte 2), S.338.
2
die W elt? Und, frher oder spater: W as ist diese W elt hier? In ihrer
ganzen Reichw eite alles unverm eidliche Fragen.
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Zw ar drfen w ir keine M he scheuen in unserem Versuch, den
bestim m baren Sinn jenes G edichtes herauszufinden, das
folgenderm a¦en schlie¦t und unterzeichnet ist: Die W elt ist fort, ich
m u¦ dich tragen. Aber nehm en w ir einm al an, w ir knnten tatschlich
verstehen und ausm achen, w as Celan sagen w ollte, von w elchem
datierbaren Ereignis in der W elt oder in seinem Leben er Zeugnis ablegt,
w em er das G edicht w idm et oder an w en es adressiert ist, w er das Ich,
das er und das dich im ganzen G edicht und, davon m glicherw eise
verschieden, w er es im jew eiligen Vers ist. Und selbst dann w rden w ir
nicht die Spur jenes Restes ausschpfen, das brigbleiben selbst dieses
Restes, der uns, fr uns das G edicht zugleich lesbar und unlesbar m acht.
W er ist brigens dieses Çw irÆ? W o ist sein Ort, von dem M om ent an, da
es zw ar aufgerufen ist, aber doch schw eigt oder zum indest niem als als
solches vorkom m t im G edicht, das ausschlie¦lich und durchgngig nur
Ich, du, er beim Nam en nennt. Sein Schibboleth setzt sich uns aus und
entzieht sich uns, es erw artet uns, w ir erw arten uns noch selbst eben
dort, w o Niem and/ zeugt fr den/Zeugen.
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Am Rande eines Abgrundes, nach dem W ei¦ einer vielleicht
unendlich dauernden Pause, steht der letzte Seufzer, das Aushauchen
des G edichts Die W elt ist fort, ich m u¦ dich tragen, als ein Vers, der
allem Anschein nach aus den Fugen geraten ist. Er erscheint aber auch
w iederum von Celan eingebunden in und verbunden m it dem W erk, das
seiner Form nach fr die ffentlichkeit bestim m t ist. Fr sich
genom m en hatte dieser Vers auch an anderer Stelle stehen knnen,
w obei er auch dort seine Sinnressourcen nicht verloren und zu neuen
Lesarten Anla¦ gegeben htte. Zw ar ist der Atem dieses Seufzers in der
Atem w ende Trager des G edichts (G adam er w rde vielleicht sagen,
vielleicht ein w enig bereilt, das Subjekt des G edichts); doch w ird er, in
seiner eigentlichen Tragw eite und der M usik in dem , w as er m it sich
trgt, ebenso getragen, ertragen, ja gar eingeflstert von dem , w as ihm
vorangeht, ihn erst ankndigt und hervorbringt.
(Aus dem Franzsischen von Friedrich A. Kittler)
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G esam m elte W erke, Band II (G edichte 2), S. 72.
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